Rezension

Von Flusshexen und Meerjungfrauen | Christian Handel

Von Flusshexen und Meerjungfrauen ist die neuste Märchenanthologie von Fantasy-Geek Christian Handel. Als großer Fan der bisherigen Anthologien musste auch diese selbstverständlich in mein Bücherregal einziehen. Leider konnte sie aus gegebenem Anlass nicht wieder zur Frankfurter Buchmesse erscheinen, doch im Frühjahr habe ich mich umso mehr gefreut, das neue Buch endlich in den Händen zu halten.

Inhalt


Von Flusshexen und Meerjungfrauen ist die fünfte Märchenanthologie des Drachenmond Verlages und diesmal tauchen wir wortwörtlich in die Geschichten ein. Dunkel, glitzernd und geheimnisvoll: Im Wasser liegt eine ganz besondere Magie. Dies gilt umso mehr für die Bewohner dieses Elements Brunnengeister, deren Zuhause der Eingang zur Unterwelt ist, Kappas, die auf dem Grunde japanischer Teiche leben, und Fische, die Wünsche erfüllen. Widersteht ihr dem Lockruf der Loreley in ein verborgenes Reich, in dem Wasserpferde über mondbeschienene Seen galoppieren, Seeungeheuer Küstenstädte bedrohen und Nixen verträumten Mühlenweihern entsteigen?

Eine märchenhafte Anthologie mit Geschichten von: Julia Adrian, Anika Beer, Astrid Behrendt, Nina Blazon, Jennifer Estep, Lynn Flewelling, Frank Friedrichs, Liza Grimm, Michelle Gyo, Lukas Hainer, Tanja Karmann, Lena Klassen, Liane Mars, Caleb Roehrig, Lisa Rosenbecker, Matthias Teut und Mira Valentin. Alle Anthologien können unabhängig voneinander gelesen werden.

Text: Drachenmond Verlag

  • Reihe: Anthologie
  • Autor/in: Hrsg. Christian Handel
  • Verlag: Drachenmond Verlag
  • Preis: 14,90€
  • Seiten: 372
  • Erschienen: Januar 2021
  • Genres: Fantasy, Märchen

Meine Meinung


In dieser Anthologie enthalten sind Kurzgeschichten von 17 verschiedenen Autor:innen. Alle Märchen stehen unter dem Thema „Wasser“, der Titel ist hier also Programm. Dabei begegnen uns nicht nur Adaptionen von Andersens Kleiner Meerjungfrau, sondern auch geheimnisvolle Brunnen, tosende Meere und reißende Flüsse. Zudem fließen Märchenstoffe und Legenden aus aller Welt in diese magische Geschichtensammlung mit ein. Das traumhafte Cover von Alexander Kopainski zeigt eine Frau in einer Unterwasserwelt und spiegelt den Inhalt somit perfekt wider. Im Inneren finden sich, wie immer, zahlreiche Illustrationen mit viel Liebe zum Detail.

Nach den ersten hundert Seiten war ich noch etwas skeptisch. Es mag der Themenvorgabe geschuldet sein, aber gefühlt handelte jede zweite Geschichte von Sirenengesang und sinkenden Schiffen oder Booten. Versteht mich nicht falsch, sie haben mir trotzdem außerordentlich gut gefallen! Im weiteren Verlauf kam auch viel mehr Abwechslung mit rein, daher ist dies nicht als wirkliche Kritik zu sehen, eher als Hinweis, was die Leser:innen erwartet. Fans von Meerjungfrauen – wie ich – werden hier auf jeden Fall auf ihre Kosten kommen. Leider hat Christian ausnahmsweise kein eigenes Märchen beigesteuert. Dafür kehren alte Bekannte, wie z.B. Julia Adrian und Nina Blazon, zurück, die mich jedes Mal mit ihren Geschichten begeistern können. Unter den neuen Gesichtern finden sich, im Vergleich zu den Vorjahren, besonders viele männliche Autoren, was ich sehr erfrischend finde. In den bisherigen Anthologien haben nämlich immer die weiblichen Märchenerzählerinnen überwogen, was ich prinzipiell einfach wundervoll finde. Doch Märchen können eben alle begeistern und aus der Feder von vielen unterschiedlichen Personen geschrieben sein, unabhängig von Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder kulturellem Hintergrund. Insofern feiere ich die Abwechslung und Diversity, die nationalen als auch die internationalen Beiträge dieser Märchenreihe gleichermaßen.

Wie immer möchte ich an dieser Stelle ein paar Worte zu den einzelnen Kurzgeschichten und ihren jeweiligen Vorlagen schreiben. Bis auf die genannten Märchen sind diese selbstverständlich spoilerfrei und können gelesen werden, um sich einen besseren Überblick über die verschiedenen Autor:innen und ihre Texte zu verschaffen. Meine liebsten Geschichten habe ich wieder mit einem Herzchen gekennzeichnet. Wer allerdings komplett unvoreingenommen aus dieser Rezension und in das Buch hineingehen möchte, kann an dieser Stelle lieber zu meinem Fazit am Ende springen.

Die Kurzgeschichten


Das Flüstern des Meeres ♥
Astrid Behrendt

Die Verlegerin des Drachenmond Verlags ist bereits zum zweiten Mal selbst vertreten und konnte mich erneut mit ihrem poetischen Schreibstil überzeugen. Sie erzählt das tragisch-schöne Märchen der Kleinen Meerjungfrau aus Sicht ihrer Schwester, wobei sie einige interessante Änderungen und Sichtweisen mit einbringt. Mich hat sie damit wirklich umgehauen.

Der Kelpie und die Meuterbraut
Mira Valentin

Hier haben wir eine kurze Erzählung, die sich um eine mutige Braut und ein keltisches Wasserpferd, ein Kelpie, dreht. Ich fand sie an einigen Stellen etwas vorhersehbar, aber auch sehr spannend und rund.

Die Jägerin
Lisa Rosenbecker

Auch diese Geschichte ist eher kurz gehalten, dabei aber sehr stimmig. Sie spielt im gleichen Universum wie Lisa Rosenbeckers Roman Magie aus Gift und Silber. Das Buch habe ich nicht gelesen, doch Die Jägerin kann auch sehr gut für sich stehen. Das Worldbuilding hat mir gut gefallen und das Ende kommt ziemlich unerwartet daher.

Der Nachbar vom See ♥
Anika Beer

Ich liebe asiatisch angehauchte Geschichten! Anika Beer hat ihre im alten Japan angesiedelt und verbindet eine japanische Legende mit dem Froschkönig. Sehr fantasievoll erzählt und ein wenig verrückt – love it.

Das Tor der Toten ♥
Caleb Roehrig

Eine tragische, queere Liebesgeschichte über den Tod, Verlustängste und einen geheimnisvollen Brunnen. Hervorzuheben ist hier besonders die dichte, nachdenklich stimmende Atmosphäre.

Tom Jofnurs Lied ♥
Nina Blazon

Wie nicht anders von Nina Blazon zu erwarten, hat sie mich wieder total aus den Socken gehauen! Eine unglaublich fesselnde, magische, traurig-schöne Geschichte über einen Arzt, der niemanden heilen kann, und seine Suche nach dem Einhorn des Meeres. Am liebsten hätte ich ein ganzes Buch darüber gelesen.

Wovon ich singe ♥
Lena Klassen

Ich fühlte mich zunächst an die allererste Geschichte von Astrid Behrendt erinnert, denn auch hier haben wir eine Adaption der Kleinen Meerjungfrau. Später entwickelt sich die Handlung in eine andere Richtung. Es gibt spannende Wendungen, jede Menge Tragik und doch zwischendurch sehr humorvoll geschriebene Dialoge.

Loreley
Tanja Karmann

Diese Geschichte hat mir leider weniger gefallen. Zwar mochte ich den Schreibstil und den interessanten Mix aus verschiedenen Märchen, Legenden und Mythologie, trotzdem hat mir einfach etwas gefehlt.

Das Meerschaumhorn
Lukas Hainer

Auch diese Erzählung um ein geheimnisvolles Horn und eine Gruppe abenteuerlustiger Kinder war nicht ganz mein Fall. Sie baut sich langsam auf und ich konnte bis zum Schluss nicht wirklich Zugang dazu finden. Gegen Ende wurde es spannend, doch da war es schnell schon wieder vorbei. Den Schreibstil mochte ich aber gerne.

Die Meerjungfrau und der Mond ♥
Liza Grimm

Liza Grimms Märchen um eine Meerjungfrau, die einer gefallenen Sternschnuppe hilft, hat mir mit am besten gefallen. Ein wenig hat es mich an Die Sterntaler erinnert, ein sehr unterschätztes Märchen, wie ich finde. Auch ist die Geschichte sehr tiefgründig, fantasievoll und magisch geschrieben, vor allem das Ende. Einfach wunderschön!

Der Fluch der Bücher ♥
Matthias Teut

Zunächst war ich noch skeptisch, ob mir diese Geschichte gefallen würde. Schnell konnte mich der Autor jedoch mit seiner unglaublichen Fantasie und den unterhaltsamen, heiteren Dialogen vom Gegenteil überzeugen. Er erzählt von der Bestimmung eines Mädchens, von Schicksal und einer märchenhaften Reise, von der mir besonders der liebenswerte Riese Rupert im Gedächtnis bleiben wird.

Wie das Salz ins Meer kam
Michelle Gyo

Eine sehr tragische, aber wunderschöne Geschichte mit viel Symbolik und typischen Märchenelementen. Hat mir richtig gut gefallen.

Das Grab am Mühlenweiher
Frank Friedrichs

Der Autor erzählt nicht nur von verbotener Liebe, sondern auch von der Suche nach (sexueller) Identität und dem Mut, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Ich mochte vor allem die starken Charaktere sehr gerne und die tolle Botschaft, die die Heldin verkörpert.

Von der Schönheit, ein Biest zu sein ♥
Jennifer Estep

Es ist immer wieder erstaunlich, wie Christian es schafft, die verschiedensten internationalen Autor:innen ins Boot zu holen. Dass ein Wassermärchen nicht immer von Nixen handeln muss, zeigt uns einmal mehr Bestsellerautorin Jennifer Estep auf meisterliche Weise mit ihrer verdrehten Version von Die Schöne und das Biest. Durch einen alten Familienfluch wurde Lady Griselle an ihrem 16. Geburtstag in ein Biest verwandelt und muss nun die wahre Liebe finden. Diese ist jedoch nicht interessiert und nimmt ihr Schicksal lieber selbst in die Hand. Eine spannende Geschichte um eine starke Frau mit einer ebenso starken Message. Die Seiten flogen nur so dahin. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich noch nie ein Buch von Jennifer Estep gelesen habe.

Die Treibgutsammler
Lynn Flewelling

Eine sehr fantasievolle, queere Fantasygeschichte um einen einsamen Sammler und geheimnisvolle Meereswesen. Baird ist ein Außenseiter im Dorf und ein fanatischer Pfarrer sorgt dafür, dass sich alle gegen ihn stellen. Lynn Flewelling zeigt hier sehr eindrücklich, wie weit Missgunst und die Angst vor dem Unbekannten reichen können.

Ein Kuss mit Folgen ♥
Liane Mars

Für die humorvolle Auflockerung sorgt dieses Mal Liane Mars mit einer Dornröschen-Adaption. In ihrer Version gibt es allerdings eine Hexe, einen verfluchten Prinzen und viele, viele Karpfen. Ich finde die Geschichte einfach herrlich und liebe das Ende, denn es hat mich so sehr zum Lachen gebracht!

Das Meer und seine Geliebte ♥
Julia Adrian

Julia Adrian kann mich jedes Mal aufs Neue mit ihren Geschichten begeistern. Auch diese hier fängt so interessant, fast befremdlich an, nur um sich anschließend düster, tiefgründig, atmosphärisch, überraschend und bildgewaltig zu entfalten. Mir ist es völlig schleierhaft, wie man es schaffen kann, ein derart großartiges Märchen zu schreiben.

Fazit


Es ist kein Geheimnis, dass ich ein absoluter Fan der Märchenanthologien bin. Bisher habe ich jede einzelne gelesen und geliebt, da bildet auch Von Flusshexen und Meerjungfrauen keine Ausnahme. Hier ist für alle Märchenliebhaber:innen etwas dabei – von düsteren Märchen über Liebesgeschichten bis hin zu humorvollen Erzählungen.

Bewertung: 5 von 5.

Weitere Bücher


Seit 2016 sind im Drachenmond Verlag fünf Märchenanthologien von und mit Christian Handel erschienen. Die nächste wird regulär immer zur Frankfurter Buchmesse im Oktober herausgebracht. Bisher gibt es noch keine Ankündigung für weitere Veröffentlichungen.

2 Gedanken zu „Von Flusshexen und Meerjungfrauen | Christian Handel“

  1. Hey Lena,

    deine Rezension hat mir wieder richtig Vorfreude auf die Anthologien gemacht. Ich muss dringend bald einen weiteren Band davon kaufen und lesen! ♥

    Liebe Grüße
    Alica

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